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Schulbuchgestaltung mangelhaft!
Es bedurfte nicht der PISA-Studie, um festzustellen, daß
zunehmende Technokratisierung und Sprachlosigkeit von Gesellschaft
und Bildungssystem die Grundlagen effektiven Lehrens und Lernens
in Frage stellen. Schulbücher, nach Lehrern die wichtigsten
Vermittler zwischen Inhalt und Wissen, geraten in die Kritik
nicht nur bei Schülern.
In die Endauswahl der »Schönsten deutschen Bücher
2000« der Stiftung Buchkunst kamen gerade mal sechs (von insgesamt
43 eingereichten Exemplaren) der Gruppe »Schulbuch«.
Zwei Bücher konnten schließlich prämiert werden.
Im Vergleich mit der Anzahl ausgezeichneter Kinder- und Jugendbücher
beschämend wenige. Warum?
Was macht Schulbücher so unattraktiv?
Volle Seiten, mangelnde Übersichtlichkeit, beliebige Textorganisation,
Gleichförmigkeit statt Rhythmus, Buntheit statt sachdienlicher
Farbigkeit sind einige Mängel, die beim Lesen von Schulbüchern
die Lust hemmen statt sie anzuregen. Die Bildmotive gehen in einigen
Fällen an der Altersgruppe vorbei sogar bei den Umschlägen
und die Abbildungsqualität lässt Wünsche offen.
Lernen ist lebendige Erfahrung
Zugegeben, Schulbücher lassen sich mit Kinder- und Jugendbüchern
nicht vergleichen. Dazu sind ihre Aufgaben, Zielsetzungen und Vertriebswege
zu unterschiedlich. Gemeinsam bleibt ihnen dennoch die Zielgruppe:
es sind ungeübte Leser mit (meist) geringer Lesemotivation.
Eigens konzipierte Buchserien gehen neuerdings auf die Zielgruppe
zwölf- bis sechzehnjähriger »junger Erwachsener«
ein, z.B. »Pocketreader« von dtv. Auch Rowohlt und S.Fischer
widmen den Interessen und Bedürfnissen dieser Lesergruppe eigene
Reihen. Und animieren zum Lesen.
Lernen ist ein ganzheitlicher Prozess
Das Linear- und Fachdenken von Schul- und Lehrbetrieben und die
mangelnde Dialogfähigkeit einer mit sich selbst beschäftigten
Gesellschaft lassen wenig Raum, Zeit und Gelegenheit für Persönlichkeit,
Ethik und Orientierung. Die Sprache als Basiskompetenz bleibt unterentwickelt.
Der praktisch Ausgleich Lernen durch sinnliche Erfahrung
ist den Kindern der Mediengesellschaft kaum möglich.
Die Zunahme von Legasthenikern auch in der amtierenden Lehrergeneration
signalisiert die Mängel einseitig theoretischer Wissensvermittlung.
Hier könnten Schulen vom »Bielefelder Screening«
lernen!
Leseart, Lesesituation, Lesertyp und Nutzen
Schulbücher sind komplexe Werke. Sie haben relativ lange und
aufwändige Produktionszeiten. Viele Verlage bleiben gerne bei
(scheinbar bewährten) Konzepten der »Sachlichkeit«
und »Richtigkeit«. Ordnungsprinzipien dominieren das
Layout; Rhythmus, Spannung und Ansprache fehlen. Neuere Erkenntnisse
über Wahrnehmung und kognitiven Prozeß werden kaum integriert,
verändertes Wahrnehmungsverhalten heutiger Leseanfänger
durch Bildschirmmedien nicht berücksichtigt. Auch gesichertes
Wissen über Lesbarkeit, Lesearten und Lesemotivation (z.B.
von Professor Willberg) wird selten genutzt, um Schulbücher
benutzerfreundlich zu gestalten.
Bild und Text im Dialog
Schulbuch-Illustrationen sind sensibel und stellen hohe Anforderungen
an die Motivwahl und die Qualität der Wiedergabe. Von ihren
Urhebern fordern sie kommunikative Fähigkeiten. Denn inhaltlich
und optisch werden Schulbücher weitgehend von Lehrern und Behörden
beurteilt, die für visuelle Kommunikation nicht ausgebildet
sind. Mangels professioneller Ansprüche an Gestaltung entscheiden
individuelles Gefallen und Nichtgefallen oder Machtstrukturen
Gestaltung muß nicht (nur) gefallen ihr Nutzen
ist gefragt.
Gute Gestaltung fördert Akzeptanz, Konzentration und Lesemotivation.
Augenfällige Gliederung und typografische Differenzierung erhöhen
die Übersichtlichkeit von Text und fördern Orientierung.
Systematischer Einsatz von Farbe trägt zu Anmutung oder Benutzerführung
bei; gezielte Bild-/Textverknüpfung unterstützt inhaltliches
Verständnis.
Textorganisation folgt der Leseart und der Lesesituation
nicht umgekehrt! Es reicht nicht, Text nach (allgemeinen) Lesbarkeitskriterien
anzuordnen oder überkommene Vorschriften einzuhalten, ohne
ihre Gültigkeit zu überprüfen. Beispiele: die Ausschließlichkeit
serifenloser Schriften für Leseanfänger (obwohl Literatur
mehrheitlich in Antiqua gesetzt wird), Schriftgrößen
von 12- 14 Punkt für Leseanfänger trotz des geringeren
Leseabstandes von Kindern zu den Büchern.
Gestaltung ist Wettbewerbsfaktor
»Beweisen Sie mir, daß ich mehr Bücher verkaufe,
wenn sie gut gestaltet sind« sagte vor mehr als zwanzig Jahren
ein Münchner Verleger zu mir, seiner angestellten Grafikerin.
Er hielt Gestaltung für Dekoration und zweitrangig. Heute setzt
jeder wache Verleger auf Gestaltung im Wettbewerb.
Schulbücher haben klare Aufträge. Am Anspruch optimaler
Vermittlung von Lesekompetenz und Orientierungswissen und der Funktion
als Arbeitsinstrument für Lehrer und Schüler muss Schulbuchgestaltung
ebenso gemessen werden wie an Ergonomie und Ökonomie.
Die Akzeptanz der Bücher bei Schülern und Lehrern ist
für den Erfolg von Schulbüchern wichtig. Fragen: Sitzen
Schüler in den Entscheidungsgremien? Werden veränderte
Sehgewohnheiten von Schülern, z. B. durch vorschulischen Umgang
mit Bildschirmmedien, berücksichtigt? Studien belegen, daß
Bildschirmtexte »eingescannt« werden, also bildhaft
erfaßt. Dieser Vorgang registriert (unwillkürlich) Formen,
Farben, Proportionen, Raum und Stil. Das Lesen und Verstehen der
Inhalte folgt »auf den zweiten Blick«. Oder es unterbleibt
ganz, wenn die Textgestaltung keinen Zugang schafft.
Was kann Schulbücher attraktiver machen?
Konkrete Vorschläge:
Klare Vorgaben der Bildungsverantwortlichen und angemessene Konzepte
der Verlage.
Partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Auftraggebern, Verlagen
und Autoren.
Schulungen für Entscheider in Ministerien und Schulen, etwa
über die Grundlagen von Textgestaltung und Lesbarkeit. Mit
der »Sehschule« sensibilisiere ich seit Jahren Laien
wie Insider für die Kriterien »guter Gestaltung«
und Lesbarkeit.
Ganzheitliche Vorgaben: Ist der wirtschaftliche Aspekt (nach Aussage
von Herstellern verantwortlich für die zu vollen Seiten) wirklich
wichtiger als Übersichtlichkeit und Förderung von Konzentration
durch gliedernden Weißraum? Moderne Hirnforschung betont die
Notwendigkeit von Pausen für das Verständnis, Weißraum
ist viuselle Pause.
Verlegerisches Engagement. Der Oldenbourg-Verlag hat gerade die
dicke Einbandpappe seiner Erstklassbücher durch eine flexible
Buchdecke mit austauschbarer, abwaschbarer Kunststoffhülle
ersetzt. Andere Verlage ersetzten DINA 4-Format durch das handlichere
21 x 21 cm.
Ausblick
Im Medienverbund sind Schulbücher stärker als bisher gefordert,
visuelle Kommunikation strategisch einzusetzen. Zum gemeinsamen
Nutzen von Lehrern und Schülern; zur Vermittlung von Lesekompetenz,
Leseverständnis und Leselust; zu Nutzen und Ansehen von Verlagen
und Bildungsinstitutionen. Und nicht zuletzt zur Freude von Schülern,
die lesen sollen und wollen.
Konstruktive Fragen an die Gestaltung von Schulbüchern Sind
Sprache und Inhalte den Schülern und den Lehrzielen angemessen?
Sind Konzeption und Lehrauftrag klar?
Entspricht die Textorganisation den vorgesehenen Lesearten?
Fördert die visuelle Darstellung den Zugang zum Inhalt?
Unterstützt das Layout Sinnzusammenhänge, fördert
es Orientierung und Übersicht?
Gliedern Layout und Typografie deutlich und sinnvoll?
Unterstützen Layout und Typografie die didaktische Nutzenerwartung
des Buches?
Animieren die Abbildungen? Fördert die Bildaussage das Inhaltsverständnis
oder lenken Buntheit und Beliebigkeit vom Wesentlichen ab?
Entspricht die Bild-/Textintegration der Leserichtung und der Leseart?
Ergänzen sich Bild und Text ?
Wird Farbe systematisch zur Benutzerführung eingesetzt?
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