Werkstattberichte

Ausgezeichnet
werden die »Schönsten deutschen Bücher« alljährlich durch eine unabhängige Jury der »Stiftung Buchkunst«. Jedes Jahr sind aus der Verlagsszene Fragen zu hören: »Warum gerade dieses Buch – warum nicht unser eingesandtes?«
Auf die Fragen nach dem Wieso und Warum wird hier geantwortet.
Vorab sei gesagt: Die Auszeichnung »Schönste«bezeichnet weit mehr als nur die Ästhetik der Bücher. Beurteilt werden gesamtheitlich Inhalt, Form und Funktionalität, die gemeinsam das Lesen und Handhaben der Bücher leicht, effizient and vergnüglich machen.

Der Jahrgang 2003
Am Beispiel des Jahrgangs 2003 werden hier Verfahren und Beurteilungskriterien aus der Jurorensicht beschrieben,. Der Wortlaut der Votierung wird dem Gestaltungsbeispiel gegenübergestellt, um die Auszeichnung nachvollziehbar zu machen.
876 Bücher des Jahres 2003 erreichten die »Stiftung Buchkunst«. Sie wurden ausgepackt, nach bibliografischen und technischen Merkmalen notiert und schließlich zur weiteren Begutachtung auf Regalen angeordnet, und zwar nach Kategorien:
1.Allgemeine Literatur. 2.Wissenschaftliche Bücher und Lehrbücher. 3. Sachbücher
4.Taschenbücher. 5. Kunst- und Fotobücher. 6. Kinder- und Jugendbücher. 7. Schulbücher. 8. Bibliophile Bücher. 9. Nicht im Handel. 10. Sonderfälle

Kategorien schaffen Voraussetzungen zum systematischen Vergleich. Sie bilden die gemeinsame Basis, auf der jedes Buch als Individuum bestehen kann – mit eigenem Inhalt und Zielsetzung, spezifischer Handhabung und Nutzenerwartung seitens der Leser und der Verleger – visuelles Vergnügen, taktile Qualität und geistiger Gewinn sind einige davon.

Ein Beurteilungsbogen begleitet die Jury Schritt für Schritt durch den siebentägigen Prozess des Blätterns, Betrachtens, Prüfens, Vergleichens und Abstimmens. Technische und ästhetische Gesichtspunkte sind dort in Einzelkriterien aufgelistet, nach denen Buchkörper und Buchseele systematisch geprüft werden. Darüber hinaus dokumentiert der Bogen den Verlauf der Juryrung und persönliche Notizen der Juroren.

Die Vorjury richtet ihren Blick vor allem auf körperliche Erscheinung und technische Qualität der Bücher. Expertengruppen – Typografen, Drucker, Buchbinder und Hersteller – beurteilen zu dritt Satz und Umbruch, Reproduktion und Druck, Papier und Bindung als »fehlerhaft«, »gut« oder »sehr gut«. Maximal 40 % der vorliegenden Bücher dürfen an die Hauptjury weiter empfohlen werden, der Rest bildet zwei Stapeln: Stapel 1 ist wegen zu vieler technischer Mängel nicht zur Weitergabe an die Hauptjury geeignet. Stapel 2 enthält das breite Mittelfeld sorgfältiger und solider Gestaltung, ohne gravierende Mängel – denen oft aber herausragende Merkmale fehlen.
Die Mitglieder der Hauptjury arbeiten die ersten beiden Tage in Einzeldurchsicht, erforschen die »Seelen« der Bücher – also Konzept und Inhaltsbezug und die wirksam umgestzte Gestaltung. Die Bücher werden in der Hand gewogen, aufgeschlagen, geblättert, betrachtet, gelesen, geprüft, verglichen. Empfehlungen der Vorjury werden reflektiert – einig oder nicht? Persönliche Bemerkungen auf dem Bogen kumulieren. Die Entscheidung »fehlerhaft«, »gut« oder »sehr gut« und eine Empfehlung für die Schlussrunde beenden diese Phase des Alleingangs.

Unter anderem berücksichtigen die Juroren..
...ob die Gestaltung dem Inhalt des Buches dient...ob Zielsetzung und Nutzen des Buches durch die Gestaltung unterstützt werden...ob die Grafik dem Inhalt und der Zielgruppen angemessen ist ...ob die Ausstattung des Buches seine Handhabung unterstützt... Auch Benutzerführung, veränderte Sehgewohnheiten und digitale Produktionssysteme werden neuerdings in Betracht gezogen. Sie beeinflussen nicht nur Bildschirmmedien, sondern auch manche Buchgestaltung.

Vergleichende Betrachtung ist das wichtigste Werkzeug der großen Schlussrunde: Mit Blick auf die Gesamtqualität von Konzeption, Gestalt und Ausführung entscheiden, was überzeugt und Bestand hat. Eigene Eindrücke abwägen gegen die Argumentation der Mitjuroren.
Am Ende der Diskussion – es ist der dritte Tag der Hauptjury – haben 80 Bücher die Endausscheidung erreicht. 49 von ihnen wird mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit das Prädikat »Schönste deutsche Bücher« verliehen. Weitere sieben Bücher erhalten eine »Lobende Erwähnung«. Der Rest, 24 Bücher, verfehlt die Auszeichnung nur knapp.

In einer kurzen Charakterisierung notieren Jurymitglieder Merkmale, die zur Prämierung der einzelnen Bücher führten. Einige Begründungen sind hier im Wortlaut nachzulesen und mit den abgebildeten Büchern zuvergleichen.

1. Allgemeine Literatur: Arbeiterlyrik 1842–1932


Jurybegründung: Durch den variablen Stand der Gedichte und die kraftvollen Titel und Autorennamen entstand ein spannungsvolles, lebendiges Konzept, das nur noch durch eine markantere Schrifttype für die Gedichte hätte gesteigert werden können. Die Farbigkeit nimmt sinnvoll auf die Zeit und das Eingangszitat auf dem Buchdeckel Bezug, Markante Farbflächen gliedern die Kapitelanfänge deutlich.


2. Wissenschaftliche Bücher und Lehrbücher: Dermatologie, Veneralogie


Jurybegründung: Ein Handbuch mit übersichtlicher Gliederung, sorgfältig in allen Details. Gut gewählte Typografie, dezente Farbunterlegung der Tabellen, gekonnter, harmonisch abgestimmter Wechsel der Schriftgrade und Auszeichnungsschnitte. Die Abbildungen sind funktional in das zweispaltige Konzept integriert.

 

3. Sachbücher: Die neue Moral der Netzwerkkinder.



Jurybegründung:: Auch in der Anmutung setzt das Buch bemerkenswerte Trends. Die Umsetzung der gestalterischen Konzeption und der virtuose Umgang mit der Vielzahl der Stilmittel entsprechen dem Inhalt und machen das Buch jung und frisch.


4. Taschenbücher: Wandas geheime Notizen


Jurybegründung: Eintritt in dieses Jugendtaschenbuch ist ein aufzuklappender, frischer Faltumschlag mit einer geheimen Ecke für »Oberekelnotizen«. Alles, was unsere Gören schüttelt, aber auch brennend interessiert, in passender Krakelschrift und mit frechen Zeichnungen abwechslungsreich aufs Papier gebracht. Gut organisierte Gestaltungselemente sind in dem zweifarbig gedruckten Taschenbuch abwechslungsreich angeordnet. Eine gelungene Konzeption zum Thema.

 

Kunst- und Fotobücher: Körpersprache

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Jurybegründung: Sehr gut gelungenes, dem Inhalt angemessenes Katalogkonzept. Überzeugende Lösung der Zweisprachigkeit. Die Texte auf den Transparentpapieren zwischen den Abbildungen der Exponate reflektieren die »Entzifferung« derselben, bewegen dazu, sich intensiv darauf einzulassen. Hinzu kommt die grafische Komponente der Überlagerung, die zu immer neuen Sichtweisen führt. Sehr gut gelungenes, dem Inhalt angemessenes Katalogkonzept.


6. Kinder- und Jugendbücher: Die Kinder-Uni.


Jurybegründung: Ein längst überfälliges Buch, das viele Kinderfragen beantwortet. Gut aufbereitet und typografisch gelungen sind – in lesefreundlicher Schrift auf angenehmem Papier – neben dem jeweiligen Hauptthema, in Marginalkästchen, wissenschaftliche Erklärungen und Exkurse in Nachbargebiete einprägsam untergebracht. Im Einklang die fantasievollen Illustrationen von Klaus Ensikat.

 

7. Schulbücher: Deutsch. Ideen 5 + 6. Lese- und Sprachbuch


Jurybegründung: Eine klare, übersichtliche Struktur. Trotz der vielen unterschiedlichen Elemente ist es gelungen, den Seiten Ruhe zu geben, ohne die Frische zu verlieren. Im Anhang gute Orientierungshilfen für Kinder.



8. Bibliophile Bücher: BI


Jurybegründung: Witz und Tiefe der Bildaussage, untermalt von der Qualität des handgeschöpften Papiers, führen bei diesem Künstlerbuch zu einem kontrastreichen, sensiblen und poetischen Zusammenspiel.



9. Nicht im Handel: Lockstoffe in Theorie und Praxis


Jurybegründung: Ein innovatives Konzept, das ein Thema mit ungewöhnlichen Mitteln erarbeitet, die intelligent organisiert sind. Konsequente Gestaltung, die vorbildlich nachweist, dass Übersichtlichkeit auch mit modernen Gestaltungsmomenten möglich ist und dabei noch viel Spaß machen kann.



10. Sonderfälle: Lebensmittel: Die tollen Hefte


Jurybegründung: Die witzigen, frechen Zeichnungen stehen in intelligentem und abwechslungsreichem Dialog mit den Texten. Eindrucksvoller Gebrauch der sieben Farben. Viele originelle Details wie etwa die Einkaufsliste in den Heftklappen. Sehr schönes Beilage-Poster. Ein weiteres Meisterwerk in einer tollen Reihe.

Weitere Jahrgänge unter www.stiftung-buchkunst.de

   
 
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